In den letzten Jahren hat sich Citizen Science, oder auch Bürger:innenwissenschaft, zu einer bedeutenden Methode entwickelt, um die Wissenschaft enger mit der Gesellschaft zu verknüpfen. Besonders in der Stadtentwicklung und im Umweltbereich zeigt sich das Potenzial dieser Methode – etwa wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen mit aktiver Beteiligung der Bürger:innen zu schaffen. Aber was genau steckt hinter diesem Begriff und welchen Mehrwert bringen Citizen-Science-Projekte für smarte Städte und Regionen?
Was ist Citizen Science?
Citizen Science beschreibt die aktive Beteiligung von Bürger:innen in verschiedenen Phasen eine Forschungsprozesses. Wie das Grünbuch „Citizen Science für Deutschland“ definiert, kann solch eine Beteiligung von der Entwicklung von Fragestellungen über Datenerhebung bis hin zur wissenschaftlichen Auswertung und Kommunikation von Forschungsergebnissen reichen. Bürger:innen sind somit nicht nur Konsument:innen von Forschungsergebnissen, sondern werden selbst zu aktiv Mitwirkenden, die ihr Wissen und ihre Beobachtungen einbringen.
Wie intensiv Bürger:innen in einen Forschungsprozess eingebunden sind, kann unterschiedlich ausgestaltet sein (vgl. Haklay, 2013). Der einfachste Partizipationsgrad ist das Crowdsourcing, bei dem Teilnehmende Daten, etwa über Sensoren, bereitstellen. Der zweite Grad ist die sogenannte verteilte Intelligenz oder auch Schwarmintelligenz, bei der Bürger:innen nach einer Schulung Daten interpretieren, wie etwa das Bestimmen von Vogelarten anhand von Fotos zur Biodiversitätsforschung. Bei der partizipativen Wissenschaft wirken die Teilnehmenden hingegen aktiv an der Entwicklung von Forschungsfragen mit und erheben Daten, zum Beispiel zur Luftqualität in ihrer Nachbarschaft. Bei der extremen Citizen Science gestalten Bürger:innen partnerschaftlich und zusammen mit Wissenschaftler:innen alle Phasen eines Projekts – also von der Fragestellung über die Datenerhebung bis hin zur Auswertung und Veröffentlichung. Diese Vielfalt der Ausprägung macht Citizen Science für verschiedene Forschungs- und Beteiligungsformate flexibel und anpassbar.


Der einfachste Partizipationsgrad der Citizen Science ist das Crowdsourcing, bei dem Teilnehmende Daten bereitstellen: Im Bereich des Gewässer-Monitorings, das Forscherinnen und Forscher des KWB begleiten, führen Interessierte als Seenpatinnen und -paten alle zwei bis vier Wochen eigenständig Messungen zur Wasserqualität an einem festgelegten See durch. Sie nutzen dafür die CrowdWater App. Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbH
Mehrwerte von Citizen Science bestehen unter anderem darin, durch die Beteiligung der Gesellschaft vielfältige Perspektiven in die Forschung einfließen zu lassen. Dies führt zu praxisnäheren und besser anwendbaren Innovationen, trägt gleichzeitig zu einer Transparenz von Forschungsvorhaben bei und stärkt die Akzeptanz für darauf basierende Entscheidungen. Zudem können durch die breite Datenerhebung neue Erkenntnisse gewonnen und bestehende Datenbestände sinnvoll ergänzt werden. Manche Forschungsprojekte lassen sich sogar nur mit Hilfe von Citizen Science umsetzen. Dies betrifft Projekte, bei denen sehr viele Beobachtungen parallel stattfinden müssen, wie zum Beispiel ein bundesweites Vogel-Monitoring (siehe Atlas Deutscher Brutvogelarten oder auch eBird). Für wissenschaftliche Organisationen oder Behörden allein wäre dieser Aufwand aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht leistbar.
Ein konkretes Beispiel für den Mehrwert von Citizen Science in der Stadtentwicklung bietet das Projekt „FairCare Verkehr” des CUT-Projekts. Mit dem Urban Data Collector ermöglicht das Projekt pflegenden Sorgearbeitenden, Barrieren im öffentlichen Raum systematisch zu erfassen. Über eine digitale Karte können Nutzende Hindernisse wie unzugängliche Gehwege oder schlecht platzierte Haltestellen markieren und mit Fotos oder Kommentaren ergänzen. Die mobile Version der Anwendung erlaubt eine intuitive und schnelle Erfassung von Wegstrecken. Die gesammelten Daten liefern wertvolle Erkenntnisse für Kommunen, um gezielte Stadtentwicklungsmaßnahmen zu ergreifen und um die Infrastruktur barrierefreier zu gestalten. So können politische Entscheidungsträger:innen auf Basis realer Erfahrungen von Betroffenen Verbesserungen gezielt umsetzen.
Initiativen in Deutschland
In Deutschland gibt es zahlreiche Initiativen, die Citizen Science fördern und koordinieren. Eine zentrale Plattform für solche Projekte ist mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen. mit:forschen! ist ein Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde Berlin. Gefördert wird es seit November 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Plattform bietet eine Übersicht über aktuelle Citizen-Science-Projekte in Deutschland und ermöglicht es Bürger:innen, sich aktiv zu beteiligen. Die Plattform umfasst eine Vielzahl von Themenbereichen, angefangen von der Biodiversität bis hin zu städtischen Umweltfragen.
Wie man eine passende Strategie entwickelt, um Citizen Scientists für ein Forschungsvorhaben zu gewinnen, zeigt der Wegweiser Citizen Science. Er wurde von Citizen-Science-Praktiker:innen der AG „Netzwerk Region West“ in Zusammenarbeit mit mit:forschen! erarbeitet. Laut Wegweiser ist es wichtig, den Beteiligten zu vermitteln, dass sie aktive Mitgestaltende des wissenschaftlichen Prozesses sind und dass sie mit ihren Beiträgen tatsächlich Einfluss nehmen können (Selbstwirksamkeit) (vgl. Soßdorf et al., 2024).
Citizen Science im Kontext des Green Deal Dataspace
Auch für Smart Cities im Bereich Umwelt-Monitoring bietet Citizen Science eine wertvolle Bereicherung für die Entwicklung von Lösungen. Denn Smart Cities benötigen Daten, viele Daten. Citizen Science bietet hier eine wichtige Methode, um einige Datenlücken zu schließen. Ein spannendes Beispiel für eine europäische Initiative, die Citizen Science in den Fokus rückt, ist das Projekt AD4GD (All Data for Green Deal). Im Rahmen des Green Deal Dataspace (GDDS) der Europäischen Kommission erforscht AD4GD, wie sich heterogene Datenquellen – von Labormessungen über Satellitendaten bis hin zu Citizen Science – effizient integrieren lassen, um den Umweltzielen des Green Deal zu dienen.
Ein zentrales Anliegen von AD4GD ist die Demonstration dieses Ansatzes in Pilotprojekten, darunter das Gewässer-Monitoring und die Luftqualitätsüberwachung. In Letzterem untersucht AD4GD den Einsatz von Low-Cost-Sensoren und IoT-Technologien, die von Bürger:innen betrieben werden. Insbesondere in dicht besiedelten, urbanen Räumen, wo traditionelle Messstationen oft nicht ausreichen, bietet diese Herangehensweise eine feinmaschige Erfassung von Luftqualitätsdaten.
Im Bereich des Gewässer-Monitorings, das Forscher:innen des KWB begleiten, liegt der Fokus auf der Wasserqualität kleiner Seen in Berlin. Diese Gewässer sind stark von urbanen Einflüssen wie Bodenversiegelung und Regenwasserabfluss betroffen, was die Gesundheit des Ökosystems gefährdet. Da klassische Monitoring-Methoden aufgrund begrenzter Ressourcen oft nicht stattfinden, bietet Citizen Science hier eine vielversprechende Ergänzung. Ich habe mich bei meinem Kollegen Malte Zamzow näher erkundigt, wie genau Bürger:innen im Projekt mitwirken können und wie die Ergebnisse verwertet werden: Als Seenpat:innen führen sie alle zwei bis vier Wochen eigenständig Messungen zur Wasserqualität an einem festgelegten See durch. Nach einer kurzen Einführung erfassen sie regelmäßig Werte zu Wasserstand, Nährstoffen und anderen Faktoren. Das benötigte Equipment stellt das Forschungsteam des KWB bereit und steht für Fragen zur Verfügung. Als Naturbeobachter:innen nutzen Beteiligte die CrowdWater App, die vom Geographischen Institut der Universität Zürich entwickelt und mit Unterstützung des KWB erweitert wurde. Mit der App können Beteiligte beliebig oft Fotos und Beobachtungen zu Wasserstand, Wasserqualität wie Trübung, Geruch, Temperatur und Gewässernutzung von kleinen Seen in Berlin festhalten.
Die Ergebnisse beider Ansätze werden vom KWB-Team automatisiert ausgewertet und tragen dazu bei, wertvolle Daten zur Gewässergesundheit zu sammeln. Diese Daten geben dann unter anderem Aufschluss darüber, ob und an welchen Stellen beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität oder zur Entsiegelung von Flächen besonders sinnvoll sind. Die Daten werden anschließend in einem Online-Portal zusammengefasst und allen Entscheidungsträger:innen – in diesem Fall den Fachämtern der Berliner Bezirke – sowie weiteren Interessierten zugänglich gemacht. Ziel ist eine Open-Source-Darstellung.

Doch die Integration dieser durch Bürger:innen gewonnenen Daten in die kommunalen Entscheidungsprozesse ist mit Herausforderungen verbunden. Eine der größten Hürden besteht darin, die Datenqualität einzuordnen und die Validität der Daten wissenschaftlich zu überprüfen. Im Laufe des Projekts AD4GD hat sich allerdings herausgestellt, dass eine geringe Datenqualität sich durchaus mit Datenquantität, also mit der Masse an Daten, wettmachen lässt. Mithilfe geeigneter Auswertungsmethoden lassen beispielsweise auch Low-Cost-Sensoren zur Messung von Luftqualität wichtige Rückschlüsse zu – trotz der vermeintlich schlechteren Datenqualität eines einzelnen Sensors. Im Falle des Gewässer-Monitorings wurde deutlich, dass klare Standards, Auswertungsmethoden und Anleitungen, wie Bürger:innen ihre Messungen durchführen sollen, dabei helfen, die Ergebnisse vergleichbar und zuverlässig zu gestalten. Zudem ist es entscheidend, wie die gesammelten Daten in bestehende Verwaltungsstrukturen und -prozesse integriert werden können, um tatsächlich als Grundlage für politische Entscheidungen zu dienen.
Die Gespräche mit meinen Kolleg:innen haben verdeutlicht, dass gerade die begrenzte Laufzeit und Finanzierung von Citizen-Science-Projekten eine nachhaltige Nutzung der Daten erschweren. Eine Kollegin brachte es auf den Punkt: "Ohne klare Strukturen für Validierung und speicherung landen viele Daten leider im digitalen Nirwana."
Um dem entgegenzuwirken, sind langfristige Strategien gefragt: bessere Schulungen für Mitwirkende, standardisierte Methoden zur Datenerhebung und -aufbereitung sowie nachhaltige Finanzierungsmodelle zur langfristigen Begleitung von Citizen-Science-Projekten. Besonders vielversprechend scheint mir, Richtlinien zur Standardisierung von Citizen-Science-Datentypen zu entwickeln und diese Daten automatisch zu validieren. Dies würde nicht nur die Vergleichbarkeit und Qualität der erhobenen Daten verbessern, sondern auch den Austausch zwischen Projekten erleichtern und deren langfristige Relevanz sichern.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Bürgerschaft und Politik ist ein Schlüsselfaktor, um die Potenziale von Citizen Science voll auszuschöpfen und nachhaltige Veränderungen im Sinne des European Green Deal zu bewirken.
Citizen Science unterstützt das Wohlbefinden
Citizen Science kann übrigens nicht nur der Forschung helfen, sondern auch das persönliche Wohlbefinden verbessern. In einer Studie (vgl. Eichholtzer et al., 2024) mit 70 zufällig ausgewählten Teilnehmenden wurde untersucht, ob die Teilnahme an Citizen-Science-Projekten zur Biodiversität positive Effekte auf das subjektive Wohlbefinden hat. Das Ergebnis: Die Teilnehmenden fühlten sich nach der Teilnahme stärker mit der Natur verbunden und waren zuversichtlicher, etwas für den Schutz der Artenvielfalt getan zu haben. Zwar konnten keine großen Veränderungen beim allgemeinen Wohlbefinden oder der Sorge um den Klimawandel festgestellt werden, doch viele berichteten in Gesprächen von positiven Effekten auf ihr mentales und körperliches Wohlbefinden. Besonders stark waren diese Effekte bei Menschen, die vorher noch nie bei Umweltprojekten mitgemacht hatten.
Fazit: Chancen und Herausforderungen für die nachhaltige Stadtentwicklung
Citizen Science bietet eine großartige Möglichkeit, die Wissenschaft enger mit der Gesellschaft zu verknüpfen und Bürger:innen aktiv in die Entwicklung von Forschungsvorhaben für eine nachhaltige Stadtentwicklung einzubeziehen. Besonders im Bereich des Umwelt-Monitorings zeigt sich das Potenzial dieser Methode, um umfassende Datenmengen zu sammeln, die eine Kommune aufgrund fehlender Ressourcen allein nicht erheben könnte. Es bleibt jedoch weiterhin eine Herausforderung, die Qualität und Nutzbarkeit der gesammelten Daten zu gewährleisten.
Hinzu kommt, dass je nach Art eines Citizen-Science-Projekts, dieses auch betreut beziehungsweise begleitet werden muss. Diese Arbeit können beispielsweise Forschungspartner oder Initiativen übernehmen. Meine Kolleg:innen aus dem AD4GD-Projekt sagen: Häufig ist Citizen Science keine Einbahnstraße. Die Menschen möchten auch etwas zurückbekommen, zum Beispiel Ergebnisse des Vorhabens. Oder sie wollen wissen, zu welchen Entscheidungen sie beigetragen haben. In der Regel bedeutet Citizen Science also auch mehr Austausch mit den Bürger:innen.
Um die Voraussetzung zu schaffen, die Daten auch in kommunale Entscheidungsprozesse einbeziehen zu können, müssen klare Standards und Mechanismen entwickelt werden. Projekte wie AD4GD leisten dazu ihren Beitrag und werden in Zukunft mehr Expertise geben können. Mit wachsender Erfahrung und einer stärkeren Integration in kommunale Strukturen kann Citizen Science so ein bereicherndes Element für die nachhaltige und resiliente Stadtentwicklung der Zukunft werden.
Literaturverzeichnis
Eichholtzer, A.; Driscoll, D.; Patrick, R.; Galletta, L.; Lawson, J. (2024): The co-benefits of biodiversity citizen science for well-being and nature relatedness. In: Applied Psychology Health Well-Being. 2024 May; 16(2):515-536. Zugriff DOI: 10.1111/aphw.12502 [abgerufen am 19.02.2025].
Haklay, M. (2013): Citizen Science and Volunteered Geographic Information: Overview and Typology of Participation. In: Crowdsourcing Geographic Knowledge, 105–122. Zugriff: DOI:10.1007/978-94-007-4587-2_7 [abgerufen am 19.02.2025].
Soßdorf, A.; Eich-Brod, R.; Beißert, U.; Ferschinger, L.; Fischer, S. B.; Gallach, L.; Kardinal, M.; Langer, F.; Liebetanz, M.; Nöske, N.; Pfeifer, J.; Stender, C.; Turck, A. (2024): Wegweiser Citizen Science – Tipps und Methoden zu den Themen Partizipation, Teilnehmende, Motivation, Bürokratie und Evaluation. mit:forschen!, Berlin. Zugriff DOI: 10.5281/zenodo.13148678 [abgerufen am 19.02.2025].
Leselinks
AD4GD – All Data for Green Deal. Zugriff: https://ad4gd.eu [abgerufen am 19.02.2025].
European Green Deal. Zugriff: https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de [abgerufen am 19.02.2025].
Green Deal Dataspace. Zugriff: https://green-deal-dataspace.eu/de/green-deal-dataspace [abgerufen am 19.02.2025].
mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen. Zugriff: https://www.mitforschen.org [abgerufen am 19.02.2025].
Museum für Naturkunde Berlin, Bürgerwissenschaften. Zugriff: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/mitmachen/buergerwissenschaften [abgerufen am 19.02.2025].
CrowdWater App. Zugriff: https://crowdwater.ch/de/start-2 [abgerufen am 19.02.2025].
Citizen Science zum Gewässermonitoring kleiner Seen in Berlin. Zugriff: https://kompetenzwasser.de/de/forschung/projekte/ad4gd-mitmachen?mitforschen= [abgerufen am 19.02.2025].
"FairCare Verkehr" des CUT-Projekts. Zugriff: https://www.connectedurbantwins.de/praxisbeispiele/faircare-verkehr-zweites-realexperiment-zu-digitalen-tools-fuer-eine-barrierefreie-stadt [abgerufen am 19.02.2025].
Dieser Blogbeitrag erschien erstmals am 20. Februar 2025 als Teil des „Smart City Blogs“ des Portals www.smart-city-dialog.de. Das Portal „Smart City Dialog“ ist ein Angebot des Bundesministeriums für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung (BMWSB), das von der Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) betrieben wird, unter Federführung des Projektträgers des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V.. Das KWB Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbH ist Teil des Konsortiums der KTS. Der Smart City Blog gewährt vertiefte Einblicke aus vielfältigen Perspektiven rund um die Smart City. Als Plattform für den Dialog von Wissenschaft und Praxis liefert er Hintergründe, neue Erkenntnisse und Debatten aus dem Bereich von Digitalisierung und Stadtentwicklung.